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Die Bedeutung der Entkriminalisierung von Cannabis aus sozial- und gesellschaftspolitischer Sicht

Entkriminalisierung und risikoarmer Rausch

Ein weiteres Mal steht die Entkriminalisierung von Cannabis zur Debatte. Obwohl eigentlich längst beschlossen, scheitert dieses politische Vorhaben eventuell an der letzten Zustimmung der SPD. Dabei würde eine Entkriminalisierung, gepaart mit dem geplanten Cannabisgesetz (CanG), eine erhebliche Verbesserung der Lebenssituation und -qualität für viele Bürger*innen bedeuten. Im Jahrbuch für Sucht (1) wurde für das Jahr 2023 ein Bevölkerungsanteil von 8,8% der Erwachsenen ausgemacht, die in den letzten 12 Monaten Cannabis konsumiert haben. Nahezu jeder 10. Erwachsene hat folglich im letzten Jahr mindestens einmal durch die Beschaffung von Cannabis kriminell agiert. Doch warum begeben sich so viele Menschen in die Illegalität, wenn sie sich doch einfach mit dem legalen Alkohol berauschen könnten? Gründe für die Priorisierung von Cannabis gegenüber Alkohol gibt es viele:

  • während der Alkohol 6-8 Stunden seine Wirkung entfaltet, braucht das Cannabis lediglich 1,5-2 Stunden und muss schon in extremen Mengen konsumiert werden, damit am Tag danach etwas ähnliches wie ein Kater zu spüren ist.
  • Die Todesopfer durch Alkohol sind alarmierend. “Im Jahr 2016 starben [beispielsweise] 19.000 Frauen und 43.000 Männer an einer ausschließlich auf Alkohol zurückzuführenden Todesursache.” Es gibt kein einziges Todesopfer durch Cannabis, das bisher bestätigt wurde.
  • Alkohol zerstört Zellen irreversibel und die momentane Empfehlung der WHO lautet, keinen einzigen Tropfen Alkohol zu trinken, wolle man sich gesundheitsbewusst ernähren. Cannabis hingegen wird auch medizinisch eingesetzt und hat vielfältigen therapeutischen Nutzen.
  • Während Alkohol zum Teil aufputscht, aggressiv oder hemmungslos macht, hat Cannabis hauptsächlich eine entspannende Wirkung. Prügeleien, Randale oder Seitensprünge sind oft bei alkoholisierten, seltener bei cannabiskonsumierenden Menschen zu finden.

Wenn sich also Menschen gerne ab und zu risikoarm und gesundheitsbewusst berauschen möchten, sollte es dann nicht politische Aufgabe sein, diesen Menschen ein legales Rauschmittel zur Verfügung zu stellen, welches eben keine derartig fatalen Folgen für die eigene Gesundheit haben kann? Doch, findet die WHO und empfiehlt 2019 offiziell ausdrücklich, geltende Cannabisregeln zu überarbeiten und Cannabis aus der Kategorie der illegalen, stark gesundheitsschädigenden Drogen zu entfernen. Viele Länder sind dieser Empfehlung gefolgt. Deutschland bisher nicht, da Entscheidungsträger die Entkriminalisierung zum Teil nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können. Die öffentlich dargestellte Liebe zum Alkohol wird diese Entscheidungsträger hoffentlich trotzdem nicht daran hindern, faktenbasiert und sozialpolitisch günstig zu entscheiden.

Entkriminalisierung und Gefährdungspotential durch Cannabis

„Wir haben schon ein Alkoholproblem und brauchen nicht noch ein Cannabisproblem“, so lautet eines der gängigsten Argumente der Prohibitionsbefürworter*innen. Weiterhin wird (immer von denselben 2 bis 3 Ärzten) propagiert, dass das Gefährdungs- und Suchtpotential von Cannabis sehr unterschätzt würde, vor allem im jüngeren Alter aufgrund des Risikos, eine Psychose durch den Konsum zu erleiden.

Bei näherer Betrachtung hält keines dieser Argumente einer evidenzbasierten Prüfung stand (außer der Tatsache, dass Deutschland ein Alkoholproblem hat). Das angesprochene Cannabisproblem existiert trotz Verbotspolitik und die stationären Aufnahmen in Kliniken haben seit 2017 um 8% zugenommen, was im Jahresbericht für Suchthilfestatistik als Teil eines langfristigen Trends bezeichnet wird (2, S.102f). Auffällig dabei ist das vergleichsweise junge Durchschnittsalter der Konsumierenden von 29 bei der stationären Aufnahme. Das Durchschnittsalter Alkoholkonsumierender, die sich stationär aufnehmen lassen, liegt bei 47 Jahren (vgl. ebd. S.124-130). Diese Umstände führen zu der Frage, ob das Gefährdungspotential von Cannabis eventuell unterschätzt wird und dieses Rauschmittel häufiger und früher psychische Probleme auslöst, als man bisher angenommen hat. Zongo et. al. fanden 2022 in einer Studie über die psychischen Auswirkungen von Cannabis heraus, dass die Häufigkeit von Cannabis-Vergiftungen, psychischen Störungen und Verhaltensstörungen bei medizinischen Cannabispatient*innen sehr gering ist (vgl. 3). Die cannabinoidbezogenen Problematiken scheinen demnach nicht am Stoff Cannabis selbst zu liegen, sondern eher am Umgang damit bzw. an der Qualität der Ware. Diese Behauptung lässt sich empirisch gut belegen. In einer groß angelegten Umfrage zum Drogenkonsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Berlin konnte herausgestellt werden, dass rund 2/3 der Befragten ein „zentrales Informationsdefizit“ bezüglich Cannabis und seiner Wirkung haben, da sie beispielsweise gar nicht wissen, dass THC berauschend wirkt (vgl 4, S.12). Hinzu kommt eine besorgniserregende Entwicklung des Schwarzmarktes, auf dem nun Cannabisblütenblüten verkauft werden, welche mit synthetischen Cannabinoiden besprüht sind oder HHC enthalten, das nicht nur sehr stark zu sein scheint, sondern auch psychische Problematiken hervorbringen kann (hierzu gibt es noch keine verlässlichen empirischen Studien, nur Erfahrungsberichte).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass es nicht der Stoff Cannabis ist, von welchem ein hohes Gefährdungspotential ausgeht. Dieses bedingt sich durch wenig Transparenz und Aufklärung sowie einen großen Schwarzmarkt mit qualitativ bedenklicher Ware. Bleibt Deutschland bei seiner Prohibitionspolitik, so wird zumindest in puncto Schwarzmarkt keine Verbesserung zu erwarten sein.


Literatur

  • (1) Rauschert, C. et al. (2023): Illegale Drogen. Zahlen und Fakten im Konsum. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.): DHS Jahrbuch Sucht 2023. Lengerich: Pabst Science Publishers. 
  • (2) Schwarzkopf, L. u.a. (2022): Suchthilfe in Deutschland 2021. Jahresbericht der Suchthilfestatistik
  • (3) Arsene Zongo et. Al. (2022): Incidence and Predictors of Cannabis-Related Poisoning and Mental and Behavioral Disorders among Patients with Medical Cannabis Authorization: A Cohort Study.
  • (4) ISD (Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung) (2023)Cannabiskonsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Berlin: Ergebnisse einer Bevölkerungsumfrage

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